Warum entstehen aus einfachen Regeln manchmal überraschend komplexe Muster – sei es beim Wachstum von Kristallen, der Struktur von Zellgewebe oder bei Phänomenen in modernen Materialien? Die Antwort liegt häufig in einem besonderen Zustand: der Kritikalität. Dabei handelt es sich um ein Regime, in dem Systeme besonders empfindlich reagieren und kleinste Einflüsse große Veränderungen auslösen können.
In dem neuen Sonderforschungsbereich SFB 1720 ‚Analyse von Kritikalität: von komplexen Phänomenen zu Modellen und Abschätzungen‘ widmen sich die beteiligten Mathematiker*innen der Aufgabe, die zugrunde liegenden mathematischen Strukturen der Kritikalität besser zu verstehen – und so den Weg für genauere Simulationen und neue Anwendungen in Natur- und Ingenieurwissenschaften zu ebnen.
„Kritikalität tritt oft in Systemen auf, in denen viele verschiedene Prozesse gleichzeitig und auf sehr unterschiedlichen Längenskalen ablaufen – und sich dabei gegenseitig beeinflussen“, erklärt Angkana Rüland vom Institut für Angewandte Mathematik der Universität Bonn. „Diese Vielschichtigkeit führt zu singulären Strukturen, starken Wechselwirkungen und spannenden Phasenübergängen zwischen verschiedenen Zuständen. Klassische mathematische Methoden stoßen hier oft an ihre Grenzen.“
Um diese Hürden zu überwinden, verfolgen die Forschenden im SFB einen Ansatz, der verschiedene mathematische Perspektiven und Teildisziplinen kombiniert. Das Forschungsteam untersucht unter anderem Modelle, in denen starke Wechselwirkungen über viele Skalen hinweg zu komplexen Mustern führen, wie sie etwa in biologischen oder physikalischen Systemen auftreten. Ein weiterer Bereich beschäftigt sich mit der Frage, welche Schlüsseleigenschaften kritische Systeme ausmachen und wie man diese aus einer Vielzahl von konkurrierenden Effekten herausfiltern kann. Da viele Fragestellungen in diesem Feld mathematisch schwer zu fassen sind, sollen zudem neue Werkzeuge entwickelt werden, um auch sogenannte „schlecht gestellte Probleme“ systematisch anzugehen.